Mittelhochdeutsche Texte sind nicht einfach zu lesen: Wortschatz, Grammatik, Metrik, sozialer, historischer, kultur- und literaturgeschichtlicher Hintergrund, alles ist fremd und bedarf ausführlicher Erklärung und Übung. Beides soll anhand der Lektüre von mittelhochdeutschen Texten geschehen. Darüber hinaus gilt es aber auch, den Umgang mit wissenschaftlichen Hilfsmitteln und die Anwendung literaturwissenschaftlicher Arbeitsweisen zu vermitteln.

Als Referenztext dient in diesem Seminar der Artusroman „Lanzelet“ Ulrichs von Zatzikhoven, der vermutlich nur kurz nach dem ersten deutschen Artusroman, dem "Erec" Hartmanns von Aue entstanden ist. Doch anders als dieser häufig als ‚klassisch‘ betitelte Text, gibt es im „Lanzelet“ keine Symbolstruktur eines doppelten Kursus und auch der Protagonist ist keinesfalls ein streng monogamer ritterlicher Held, sondern, wie es im Text heißt, der wîpsaelige Lanzelet. Damit werden zwar die neuen Formen adlig-männlicher Idealität ebenso aus dem romanischen Kulturraum importiert, wie das Modell der höfischen Dame und der höfischen Liebe, der (mhd.) minne. Doch anders als im sogenannten ‚klassischen‘ Artusroman zeichnet sich doch eine größere Breite an Figurenentwürfen und Handlungsnormen ab, die den „Lanzelet“ zu einem spannenden Dokument des literarischen Diskurses der Zeit machen, der in vielerlei Hinsicht das europäische Gefüge von Sozialität und Kultur bis in die Gegenwart hinein prägt.