Wenn Franz Werfel auch wegen des expressionistischen „O Mensch“-Pathos seiner Gedichte verspottet wurde – und immerhin hatte ihn schon Rainer Maria Rilke als Vertreter einer neuen lyrischen Generation begrüßt -, so waren einige seiner Romane in den 1920er und 1930er Jahren doch Bestseller („Das Lied von Bernadette“). Werfel, geboren in Prag als deutschsprachiger Autor jüdischer Herkunft und u.a. befreundet mit Kafka und Max Brod, starb 1945 im kalifornischen Exil.

Tatsächlich könnte man in seinem dort entstandenen letzten, utopischen bzw. dystopischen Roman „Stern der Ungeborenen“ (1946) heute beinahe eine Vorwegnahme des Internetzeitalters lesen, von psychedelischer Literatur, virtueller und erweiterter Realität. Denn abgesehen von der Vorhersage von kosmischen Katastrophen und Klimaveränderungen scheint in seiner „astromentalen“ Gesellschaft des Jahres 101 945 jeder des anderen Gedanken lesen zu können, während die physische Umwelt zugunsten von Abstraktionen und radikal reduzierten Archetypen fast von allem Sinnlichen gereinigt ist.

Dagegen liegt „Der veruntreute Himmel“ (1939) näher an seiner Erzählgegenwart. Zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts bezahlt eine alte Dienstmagd aus Frömmigkeit ihrem Neffen über Jahre hinweg die Ausbildung zum Priester – um dafür selbst in den Himmel zu kommen. Der Neffe betrügt sie aber, er ist nie Priester geworden, und endlich mißtrauisch geworden, findet ihn die Tante als verkrachten Juxartikel-Händler. Daraufhin sieht sie ihr eigenes Leben als verfehlt an und unternimmt eine Reise nach Rom, um Absolution zu erlangen. Mag uns diese Fabel des „Veruntreuten Himmels“ heute in vieler Hinsicht fern liegen – die gebrochene Darstellungsweise des im Pariser Exil beendeten Romans könnte eine Neubewertung von Werfels lebenslanger Auseinandersetzung mit dem Katholizismus aus jüdischer Sicht nahelegen.

Es wird ein Semesterapparat in der Universitätsbibliothek eingerichtet.

Termin: Kompaktseminar in Präsenz, Mo-Do, 17. bis 20.7. 2023, jeweils 8:15 bis 15:45 Uhr