Obwohl begrifflich einigermaßen vieldeutig, gilt „Öffentlichkeit” in der soziologischen und sozialphilosophischen Gesellschaftsforschung seit langem in doppelter Hinsicht als fundamentale Komponente moderner Gesellschaften: Zum einen in historisch-deskriptiver Perspektive als geschichtlich evolviertes Charakteristikum der Moderne überhaupt, sofern unter feudalen und absolutistischen Vorzeichen Öffentliches und Privates kaum in vergleichbarer Weise strukturell voneinander getrennt wurden, wie dies seit dem 18. Jh. der Fall ist. Zum anderen in normativer Perspektive, sofern „Öffentlichkeit” üblicherweise als eine notwendige Bedingung für die Herausbildung demokratischer Gemeinwesen verstanden wird.

Angefeuert durch weithin sichtbare Verfallserscheinungen – als jüngstes, weithin sichtbares Negativbeispiel lässt sich hier an die zuvor von vielen für schlichtweg undenkbar gehaltene Erstürmung des Kapitols, des Sitzes des US-amerikanischen Kongresses im Januar 2021 denken – ist aktuell eine Intensivierung der soziologischen Beschäftigung mit der Konzeption und Praktizierung von Öffentlichkeit unter zeitgenössischen Bedingungen zu beobachten. Vor diesem Hintergrund wird das Seminar sich zunächst mit einigen einschlägigen Beiträgen der Sozialtheorie zur klassischen Öffentlichkeitskonzeption auseinandersetzen (z.B. Habermas, Dewey, Luhmann etc.), um von dort ausgehend dann zu fragen, was diese Theorien noch heute zum Verständnis des aktuellen, digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit beitragen.