Zu Ende des Jahres 2019 löste die rasche Verbreitung des Covid-19-Erregers eine der größten Seuchen der modernen Welt aus. Die Forderung nach „social distancing“ und das Umsetzen verschiedener Formen des Lockdowns führten zu einer Erschütterung der sozial-räumlichen Ordnung des Alltags. Der Aufenthalt in der eigenen Wohnung ist durch die Pandemie in neue Verflechtungen geraten. Zuhause sein und zu bleiben wurde zum moralischen Imperativ, zur juristischen Verpflichtung und zur alltäglichen Notwendigkeit. Durch die Schließung von Betreuungseinrichtungen, die Forderung nach Arbeit im Homeoffice und den Wegfall vieler Freizeitangebote verlagerten sich viele dieser Funktionen in den Wohnraum. Das Private und das Nicht-Private, die Freizeit und die Arbeit, kurzum: Die verschiedenen, voneinander getrennten Aspekte des Lebens bündeln sich nun in der Wohnung oder im Haus. Die Neu-Organisation des Alltags muss also die verfügbaren Räume, die verfügbare Zeit und die verfügbaren sozialen Kontakte einschließen, um den basalen Bedürfnissen (z.B. Freizeit, Privatheit) und Anforderungen (z.B. Betreuung, Pflege von Beziehungen) gerecht werden zu können.

 

Im Seminar sollen autoethnographisch die Erfahrungen mit dem „Wohnen“ und der „Öffentlichkeit“ während der Pandemie und des Lockdowns unter Hinzunahme einschlägiger Literatur diskutiert werden. Dies soll sich von der Frage der Veränderung der sozialen Rolle in veränderten Wohnsituationen (vgl. Dahrendorf 2010), der Auseinandersetzung mit Theorien über das Wohnen und ihre Belastbarkeit in der Covid19-Krise (Häußermann und Siebel 2000) bis zur Auseinandersetzung mit der Frage nach öffentlichem Raum und Moral erstrecken (vgl. Blokland, Krüger, Vief 2020).

 

Ziel des Seminars ist es eine sozial-räumliche Perspektive auf die Phänomene des Lockdowns und seiner Folgen zu entwickeln.

 

Das Seminar steht Bachelor- und Masterstudierenden in ASL benotet oder unbenotet für drei Credits offen.

 

 

Dahrendorf, R., Abels, H., 2010. Homo Sociologicus: ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, 17. Aufl. ed, Neue Bibliothek der Sozialwissenschaften. VS, Verl. für Sozialwiss, Wiesbaden.

 

Häußermann, H., Siebel, W., 2000. Soziologie des Wohnens: eine Einführung in Wandel und Ausdifferenzierung des Wohnens, 2., korr. Aufl. ed, Grundlagentexte Soziologie. Juventa-Verl, Weinheim.

 

Blokland, T., Krüger, D., Vief, R., n.d. Nur weil wir es tun müssen, heißt das nicht, dass es richtig ist: warum #stayathome nicht zu einem moralischen Imperativ und soziale Isolation nicht zu einer Gewöhnung werden sollte. SFB 1265 „Re-Figuration von Räumen“. URL: https://www.sfb1265.de/blog/nur-weil-wir-es-tun-muessen-heisst-das-nicht-dass-es-richtig-ist-warum-stayathome-nicht-zu-einem-moralischen-imperativ-und-soziale-isolation-nicht-zu-einer-gewoehnung-werden-sollte/ (accessed 4.26.21).