In diesem Seminar wird die in der gleichnamigen Vorlesungsreihe vorgestellte Geschichte vertieft. Mehr als 200 Texte werden als pdf-Dateien zur Verfügung gestellt, um den Teilnehmern eine Bibliothek zu bieten, die ein kleines unabhängiges Forschungsprojekt ermöglicht, das die Grundlage für einen Aufsatz bilden wird. 


Seit drei Jahrzehnten wird über den Wiederaufbau der barocken Garnisonkirche Potsdam gestritten. Obgleich von einem rechtsradikalen Bundeswehroffizier initiiert, wird der Kirchturm unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten überwiegend aus Geldern des Bundes wieder aufgebaut. Historisch steht die 1945 beschädigte und 1968 abgerissene Kirche für den deutschen Nationalprotestantismus und damit für ein obrigkeitshöriges, antidemokratisches, antiliberales, nationalistisches und militaristisches Denken, dass auch die Kriege gegen Polen und Frankreich, die Kolonialvölker, den Ersten und Zweiten Weltkrieg beförderte und einen fatalen Höhepunkt im „Tag von Potsdam“ mit der symbolischen Inthronisierung von Adolf Hitler erreichte.

Direkt daneben, in 1,7 Meter Entfernung steht das 1971 und somit zu DDR-Zeiten errichtete Gebäude des Rechenzentrums, das seit sechs Jahren als Kunst- und Kreativhaus genutzt wird. Eigentlich sollte dessen Abriss 2024 erfolgen, um Baufreiheit für den Nachbau des Kirchenschiffs. Doch inzwischen ist klar, das dieses nicht kommen wird. Für einen Abriss, ob in Teilen oder Ganz gibt es keine Grund mehr. Aber was soll an diesem Ort geschehen? Die Stadt Potsdam hat letztes Jahr ein sogenannten 4-Phasen-Prozess in Gang gesetzt, um diese Frage zu klären. Die inhaltliche Konzeption soll bis zum Herbst diesen Jahres, daran anschließen die baulich-räumlichen Konkretisierung hierzu erfolgen.

 

Mit dem Entwurfsprojekt wollen wir uns in diese Debatte einbringen. Wir wollen Vorschläge für Inhalte und räumliche Gestaltungen an diesem Ort machen. Wie kann ein neuer Dritter Ort für freiheitliche Utopien und Lernen aus der Geschichte gestaltet sein und soll sich dieser mit den beiden Bestandsbauten verbinden und sich teilweise auf diese ausdehnten? Neben einem Neubau zwischen diesen beiden entgegengesetzten Bauten geht es dabei auch um Eingriffe in die beiden vorhandenen Bauten. Bzgl. des Erdgeschoss des Kirchturms geht es potentiell darum, die dort vorgesehen Kapelle in einen Lern- und Ausstellungsraum umzubauen. Bei dem einst introvertierten Rechnungszentrum geht es darum, für die neue Nutzung das Gebäude nach außen zum öffentlichen Raum hin zu öffnen. Bei beiden Bauten geht es auch um mögliche Veränderungen der äußeren Erscheinung bzgl. des Bauschmucks.

 

Im Rahmen des Projektes erfolgt eine Befassung mit architektonischen Referenzen einer antiautoritären-freiheitsversprechenden Architektur, um zu prüfen, ob diese Anregung für die Potsdamer Situation bieten können. Dabei gilt es, die Idee des Lernorts zu konkretisieren, ob etwa als Denkmal, Museum, Kloster, Schule, Bibliothek, Panoptikum oder Festsaal. Begleitet wird das Projekt von einer Exkursion nach Potsdam mit Begleitseminar, welches die Aktivistin und Architektin Frauke Röth vom Rechenzentrum betreut. Die Ergebnisse des Projektes sollen vor Ort im Rechenzentrum im Frühjahr 2022 ausgestellt werden.


Die Baubranche gilt mit rund 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen als ein Hauptverantwortlicher der Klimakrise und baut auf der Ausbeutung von Ressourcen, Ökosystemen sowie menschlicher Arbeitskraft auf. Das Seminar beleuchtet die Genealogie ökologischer Positionen in der Architektur im 20. und 21. Jahrhunderts und gibt eine Einführung in den Anthropozän-Diskurs. Die kritische Analyse konkreter Projekte von Frank Lloyd Wright, Alison und Peter Smithson, Van den Broek & Bakema, Kisho Kurokawa, Kiyonori Kikutake, Balkrishna Doshi, Frei Otto, OM Ungers, Florian Nagler, Roger Boltshauser, baubüro in situ und weiteren Positionen macht unterschiedliche Ansätze umweltgerechten Bauens fassbar. Theoretische Texte beleuchten die materielle Fragestellungen des Extraktivismus und der Produktionsverhältnisse der Architektur, die biopolitische und rassistische Dimension des Anthropozäns und widmen sich Ansätzen der Überwindung von anthropo-zentrischem Denken und der Schaffung neuer Verwandtschaften zwischen Spezies. Die Verschränkung von praktischen Bauprojekten und theoretischen Texten führt zur übergeordneten Fragestellung: Wie lässt sich eine More-than-Human-Architektur gestalten?