Im Zweiten Weltkrieg erlebte naturwissenschaftliche und interdisziplinäre Forschung große Veränderungen. Den Kriegserfolg über die faschistischen Achsenmächte schrieben die Alliierten auch der Wissenschaft, ihren Expert:innen, ihren Entdeckungen und Erfindungen zu. Und es waren eben jene Erkenntnisse, die nach 1945 und zunächst in den USA auch auf zivile Bereiche, namentlich auf Erziehung und Bildung, angewendet werden sollten. Nicht zufällig also wurden Methoden und Verfahren der Kriegswissenschaften nun aus den vormals geheimen Kriegsmissionen in das neue Versuchslaboratorium des Kalten Kriegs – Erziehung und Bildung – getragen. Ablesen lässt sich dies etwa an der Datafizierung der Bildungsplanung nach Vorbild der operation research Verfahren im Zweiten Weltkrieg, an der technischen Ausrüstung der Klassenzimmer und Hochschulen (etwa mit Sprachlaboren, in denen vormals Rekruten ausgebildet worden waren), an den tiefgreifenden Curriculumreformen oder der Entstehung einer Schulentwicklungsplanung. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs führten neue Wissenschaften wie die Kybernetik, die entstehende Computerwissenschaft sowie die Kognitionswissenschaften zu algorithmisierten und an Modellen sowie Metaphern des Computers orientierten Vorstellungen vom Menschen, die Nachkriegswissenschaftler:innen aus einer Vielzahl von Disziplinen vertraten und popularisierten. So hatten der Computer und die sich entwickelnde Computerwissenschaft ganz entscheidenden Einfluss auf die Konzeption von Geist, Denken, Erziehung, Bildung, Lernen und Wissensvermittlung. Doch standen insbesondere die 1960er und 1970er Jahre nicht nur im Zeichen technokratischer Reformen. Es kam gleichzeitig auch zu einer beispiellosen Expansion des Bildungswesens sowie einer Öffnung und Reform von Schulen und Hochschulen, welche Chancengleichheit und mehr Demokratie zum Ziel hatten. Insbesondere Frauen und Mädchen rückten in den Blickpunkt der Bildungsoffensive – und waren bald in größerer Zahl in den Bildungseinrichtungen zu finden. Wie sind diese ambivalenten Jahrzehnte des Kalten Kriegs als Vorgeschichte unserer Gegenwart zu beurteilen? Die Vorlesung gibt einen Überblick über technokratische Bildungsplanungsbemühungen, den Aufstieg von Expert:innen und ihre Bedeutung für das Bildungswesen, behandelt aber auch anti-autoritäre und nach mehr Demokratie strebende Bewegungen zwischen dem Sputnik-Schock und dem Zusammenbruch des Ostblocks. Die Vorlesung richtet sich an Studierende ohne besondere Vorkenntnisse in der historischen Bildungsforschung. Voraussetzung ist jedoch ein Interesse an historischen Fragestellungen und die Bereitschaft, sich mit Perspektiven auseinanderzusetzen, die gesellschaftskritische Reflexionen befördern.