In Zeiten von Krieg, folgenreichem Klimawandel, wachsenden globalen Spannungen und sozialen Ungleichheiten sowie deren Zuspitzunng zu Mehrfach-Krisen nimmt das Gefühl von existenziellen Herausforderungen und Bedrohungen wieder merklich zu. Daher ist es Zeit, sich dem Problem der Existenz gründlich zu widmen und hierbei auch soziologisch verunsichern zu lassen. Der Begriff öffnet Assoziationen in unterschiedliche Richtungen: Geht es um die ökonomische Existenz, ums "nackte Überleben", um kollektive Menschheitsfragen, also um die Zukunft der Gattung, um das Ende des Humanismus und den Übergang zum Posthumanismus, um Ökologie und irdisches Leben allgemein oder kleiner auch um wichtige biographische Entscheidungen, etwa dafür, Kinder in die Welt zu setzen, um Gesundheit und Krankeit, Leben und Tod, um die Wahrnehmung des eigenen Körpers, um Geschlechterpolitik? Existenzielle Probleme sind vielschichtige und schwer zu fassende Probleme. Diese Abgrenzungsschwierigkeiten betreffen die Lebenspraxis selbst, aber auch die Soziologie. Das Masterseminar untersucht den Problemraum, der mit dem Begriff der Existenz verknüpft ist. Es greift hierzu verschiedene soziologische Debatten und Theorieentwicklungen auf, die zur Aufhellung dieses vielschichtigen Problemraums einen Beitrag leisten können. Das sind zum einen soziologische Analysen, die sich "existenziellen Krisen" widmen und solche zu identifizieren versuchen (von der Kapitalismuskritik bis zur Klima-Soziologie), aber auch grundlegendere Ansätze, die Existenz als vielschichtiges Problem zu definieren versuchen oder neue Perspektiven in der Soziologie zu verankern trachten, indem sie sich auf neue Weise mit Ontologien befassen, das Materielle verstärkt in den Blick nehmen, eine Pluralität von Existenzweisen (Latour) rekonstruieren oder existenzielle Probleme als eine Quelle radikaler Kritik (Boltanski) entdecken. Das Seminar wird diese Felder durchstreifen, nach Zusammenhängen forschen und dabei auch auf Vorläuferdebatten, etwa zwischen Fundamentalontologie (Heidegger) und Existenzialismus (Sartre), schauen. Ziel ist es, einen Überblick über das mit "Existenz" bezeichnete Begriffsfeld zu bekommen, um so den Problemraum der Existenz soziologisch besser ausleuchten zu können.

Kleine Literaturauswahl zur Vorbereitung:

Bihrer, Andreas/Franke-Schwenk, Anja/Stein, Tine (Hg.) (2016): Endlichkeit. Zur Vergänglichkeit und Begrenztheit von Mensch, Natur und Gesellschaft. Bielefeld: transcript.
Boltanski, Luc (2010): Soziologie und Sozialkritik. Berlin: Suhrkamp.
Giddens, Anthony (1991): Modernity and Self-Identity. Self and Society in the Late Modern Age. Cambridge: Polity.
Laux, Henning (Hg.) (2016): Bruno Latours Existenzweisen. Einführung und Diskussion. Bielefeld: transcript.
Latour, Bruno (2018): Das terrestrische Manifest. Berlin: Suhrkamp.
Martin, Nastassja (2021): An das Wilde glauben. Berlin: Matthes und Seitz.