Man kennt den "unbewegten Beweger" wohl am ehesten als ein Konstrukt, das in mittelalterlichen Gottesbeweisen eine Rolle spielt und irgendwie von Aristoteles stammt. Bei Aristoteles werden einerseits die Himmelsbewegungen und andererseits jede Selbstbewegung von Tieren (einschließlich des Menschen) auf einen Antrieb zurückgeführt, der seinerseits bewegungslos ist. Dieser Antrieb ist jeweils etwas, das "als Begehrtes bewegt" (Met. XII 7, 1072b3). Die Himmelsbewegungen sind immerwährend und gleichförmig, ihr Antrieb daher "ewig und Substanz und in Tätigkeit" (ebd. a25, Fazzos Text); das Begehren kommt in keiner Erfüllung zur Ruhe. Nur die Selbstbewegung von Tieren (einschließlich des Menschen) hat ein Ziel, in dem sich das Begehren erfüllt; anders als beim Antrieb der Himmelsbewegungen ist die mentale Repräsentation des begehrten Objekts episodisch. Insgesamt entwirft Aristoteles somit ein einheitliches und universelles Modell des Bewegungsantriebs, mit Anwendung in der Astronomie und Theologie, der Biologie sowie der Handlungstheorie. Das Modell ist mit den Prinzipien der Newtonschen Physik (und ihren Nachfolgern) unvereinbar und insofern obsolet. Bemerkenswert bleibt es als Beispiel einer wissenschaftlichen Weltbeschreibung, die mit einer nichttrivialen menschlichen Selbstbeschreibung einhergeht.

Gegenstand der Seminararbeit ist eine Auswahl einschlägiger Aristoteles-Texte, vor allem aus Phys. III 1-3, VII 1 und VIII, aus De motu animalium und aus Met. XII 6-10. Erwartet wird eine regelmäßige Vorbereitung, so daß die Diskussion der Seminarsitzungen von den Fragen ausgehen kann, die sich den Teilnehmer*innen bei der Vorbereitung gestellt haben. Einzelheiten zur Studienleistung werden zu Semesterbeginn besprochen. Weiteres Material ab Oktober bei Moodle.

Vorbereitende Lektüre:

Kapitel 1 ("Naturwissenschaft und Naturphilosophie bei Aristoteles") und 2.1 ("Bewegung") in der Einleitung zu: Aristoteles, Physik, gr./dt., Teilband 1: Bücher I bis IV, hg., übers. und erl. von G. Heinemann (Philosophische Bibliothek 737) Hamburg 2021

https://meiner-2elibrary-1de-1jf9ge81w02f3.han.ub.uni-kassel.de/physik-teilband-1-bucher-i-bis-iv.html

Kapitel 39 ("Handlungstheorie, Fortbewegung" von K. Corcilius) und 67 ("Unbewegter Beweger" von M.  Bordt) in: Aristoteles Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Chr. Rapp und K. Corcilius, 2. Aufl., Stuttgart/Weimar 2021

https://link-1springer-1com-1kssnxc1w0493.han.ub.uni-kassel.de/book/10.1007/978-3-476-05742-6