„Ohne uns hätte Europa nicht einmal seine armselige Erklärung der Menschenrechte.“, schrieb der brasilianische Schriftsteller Oswald de Andrade. Die Gegenüberstellung des europäischen und des (kolonialisierten) lateinamerikanischen Kontinentes verdeutlicht, dass Kulturen grundlegend miteinander verflochten sind. Aber was ist ‚Kultur'? Wie wird sie eingegrenzt? Was kommt in den Blick, wenn von ‚Kultur' die Rede ist? Welche Bereiche werden mithilfe von oder als Kultur gelesen?

In diesem Seminar wollen wir uns mit verschiedenen Kulturtheorien befassen, die zu den heterogenen und interdisziplinären Kulturwissenschaften gehören. Als Kulturtheorien werden verschiedene Ansätze verstanden, die die Dynamik von Kultur konzeptualisieren und erklären. Historisch gesehen handelt es sich dabei um Auseinandersetzungen über die Beziehung zwischen Kultur und Natur oder über die Trennung zwischen Hoch- und Populärkultur. Ebenso wird das Zusammenspiel zwischen kultureller Tradition und Vielfalt problematisiert; so wurde der Begriff auch zunehmend zu einem Bestandteil politischer Konflikte.  

Bei Zusammenstellungen von Kulturtheorien, beispielweise in Sammelbänden, fällt ins Auge, dass diese zumeist ähnliche Perspektiven als Ausgangspunkt haben. Auch wenn die Art und Weise, wie erfasst wird, was Kultur bedeutet, verschieden ist, so ist doch die Position der Sprecher*innen vorwiegend weiß, männlich und zentraleuropäisch oder U.S.-amerikanisch. Im Rahmen des Seminars werden wir keine Genealogie entwickeln können, stattdessen wollen wir uns mit der Vielstimmigkeit der Herangehensweisen an das Phänomen ‚Kultur' auseinandersetzen. Insbesondere post- und dekoloniale sowie feministische Perspektiven werden thematisiert.

Ziel des Seminars ist es, die eingangs angeführten Fragen und verschiedenen Praktiken der Sinn- und Bedeutungsgebung zu diskutieren, wobei Theorien des 20. Jahrhunderts im Fokus stehen. Künstlerische Arbeiten (aller Gattungen), aber auch Alltagsphänomene werden als Beispiele dienen.