„Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen.“ Prägnant bringt der berühmte Satz am Beginn der „Metaphysik“ des Aristoteles die Bedeutung des Wissens für die menschliche Existenz zum Ausdruck. Doch was genau ist Wissen? Welche Rolle spielen Sinneswahrnehmung und Vernunft? Wer verfügt über Wissen? Ist das Wissen von Philosophen, Sophisten, Dichtern gleichwertig? Tatsächlich bewegen Fragen wie diese die Philosophiegeschichte seit der Antike. Platon verbindet Wissen mit der Kenntnis von Ideen, Aristoteles rückt die Funktion empirischer Eindrücke stärker in den Vordergrund. In der frühen Neuzeit werden die traditionellen Bestimmungen von Wissen aufgegriffen und um ein bedeutendes Spektrum von Möglichkeiten erweitert. So stellt beispielsweise der Philosoph und Theologe Nicolaus Cusanus (1401-1464) dem professionell erworbenen Wissen das Wissen des Laien gegenüber, der die Wahrheit in ihrer Offenkundigkeit ohne besondere Schulung und Ausbildung erkennt. Der Humanist und Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti (1404-1475) thematisiert die Bedeutung der Kreativität, die in der menschlichen Erfindungskraft und produktiven Begabung zum Ausdruck gebracht werden. Der Theologe und Philologe Erasmus von Rotterdam (ca.1466-1536) vertraut auf die erkenntnisstiftende Strahlkraft von Witz und Satire und zeigt den Wert des Verstandes durch eine ironisch verzeichnete Lehrrede der Torheit. Der Universalgelehrte Agrippa von Nettesheim (1486-1535) setzt sich mit den Formen natürlicher Magie auseinander. Der Naturphilosoph Giordano Bruno entwickelt eine Kosmologie, in der das Auge der Vernunft über die physiologisch mögliche Optik hinaus die Weiten des unsichtbaren, unendlichen Kosmos „sehen“ und erkennen kann. 

Das Seminar versucht auf der Basis von ausgewählten Texten einen Einblick in die vielfältigen Wissensformen der frühen Neuzeit zu geben und ihre Bedeutung für die weitere Entwicklung nachzuvollziehen. Das Verständnis grundlegender philosophischer Begriffe, die Prinzipien philosophischer Interpretation sowie die mündliche und schriftliche Darstellung sollen in eigenen Lernschritten vermittelt werden.

Literatur

Nicolai de Cusa: Idiota de mente – Der Laie über die Weisheit, hg. von E. Hoffmann, P. Wilpert und K. Bormann, Phil. Bibliothek Bd. 411, Hamburg 1988. Leon Battista Alberti: Della Pittura – Über die Malkunst, hg. von O. Brätschmann und S. Gianfreda, Darmstadt 2002. Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit, übers. und hg. von A. Gail, Universal-Bibliothek Nr. 1907, Stuttgart 2014. Agrippa von Nettesheim: Die magischen Werke, hg. und eingel. von M. Frenschkowski, Wiesbaden 62021.  Giordano Bruno: Über das Unendliche, das Universum und die Welten, hg. von Ch. Schulz, Universal- Bibliothek Nr. 5114, Stuttgart 1994.