Der permanente Zeitnotstand ist zu einer allgemeinen Erfahrung geworden, die sich aus der Verdichtung von Arbeit und Studium sowie der Entgrenzung von Arbeitszeit, aber auch aus der bereitwilligen Unterwerfung unter die ökonomischen und politischen Imperative ständiger Leistungsbereitschaft speist. Zugleich überbieten sich Prognosen zum Ende der Arbeit, dem mal hoffnungsvoll, mal mit Schrecken entgegengesehen wird. Während Unternehmensverbände unter dem Schlagwort »Industrie 4.0« von der intelligenten Fabrik träumen, einer durch digitale Technikanwendung weitgehend selbstorganisierten Produktion, und längst zum Angriff auf den Achtstundentag blasen, fürchten Gewerkschaften weitere Flexibilisierungsoffensiven und die Freisetzung von Arbeit durch die Digitalisierung. Nach Jahren des Stillstands in dieser Frage treten inzwischen verstärkt Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung auf den Plan und der gewerkschaftliche Vorstoß einer 4-Tage-Woche findet sich in so manchem Wahlprogramm. Die Frage der Arbeitszeit bleibt somit umkämpft.

In dem Seminar werden wir uns in Anschluss an Karl Marx mit der ‚politischen Ökonomie der Zeit‘ befassen. Hierzu setzen wir uns mit Theorien, Geschichte und Wandel moderner Zeitordnungen sowie mit politischen Kämpfen um die Zeit auseinander. Ausgangslage ist die Annahme, dass die Zeit nicht Ausdruck naturwissenschaftlicher Objektivität ist, sondern dem Wandel von Herrschaftsverhältnissen unterliegt. Zeitordnungen und Zeitwahrnehmung sind eng geknüpft an die Produktionsverhältnisse, die das gesellschaftliche Leben strukturieren. Sie prägen die Geschlechterverhältnisse ebenso wie die realen Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung. Nicht zuletzt weisen Kämpfe um die Arbeitszeit ein über die bestehenden Verhältnisse hinausweisendes Moment auf, da sie immanent die Fremdverfügung über die Zeit und damit ein Wesen von Herrschaft in Frage stellen. Mit diesen Aspekten werden wir uns auf der Basis einschlägiger Texte auseinandersetzen.