Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre formierte sich eine radikal empirisch orientierte und von vornherein international aufgestellte Forschungsunternehmung, die sich der Analyse der praktischen Herstellung von (zunächst) science, d.h. von naturwissenschaftlichem Wissen und (später dann auch von) technology verschrieben hatte. Unzufrieden mit den hochgradig abstrakten und praxisfernen Vorstellungen von naturwissenschaftlicher Wissensproduktion, wie sie die philosophische Erkenntnistheorie (z.B. Popper) vertrat, sollte es darum gehen, die konkreten Praktiken und Arbeitsweisen von Naturwissenschaftler*innen und Ingenieur*innen im Feld zu erforschen. Auf diese Weise sollte ein empirisch fundiertes, soziologisches Verständnis der Genese von Wissen(schaften) und Technologien entwickelt werden.

Die provokative und produktive Forschungsunternehmung, anfangs v.a in England, Frankreich und den Niederlanden vorangetrieben, führte zunächst ein Nischendasein, hat mittlerweile jedoch nicht nur in den internationalen Forschungsdebatten für Furore gesorgt, sondern ist mit ein wenig Verspätung nun auch ins Zentrum der deutschsprachigen Forschungslandschaft gerückt. Die Gründe dafür dürften schnell einleuchten: Wissenschaften und Technologien durchziehen so offenkundig noch die alltäglichsten Alltagspraktiken zeitgenössischer Sozialformationen, dass ihre soziologische Relevanz für spätmoderne Gesellschaften wohl kaum noch von der Hand zu weisen ist. So bezeugen etwa im Bereich der Technologien die massiven sozialen Folgewirkungen des Einsatzes von Digitaltechnologie wie sehr zeitgenössische Gesellschaften und Praktiken technologisch strukturiert werden, während auf dem Gebiet der Wissenschaft aktuell die Corona-Pandemie kaum noch einen Zweifel daran lässt, dass das soziale Leben in spätmodernen Gesellschaften maßgeblich von technoscience (d.h. von technisch erzeugtem Wissen und komplexen wissensbasierten Technologien) dominiert wird – man denke nur an die mithin sozialpolitische Rolle, die virologisches und epidemiologisches Wissen seit 2019 weltweit spielt.  

Die soziologische Relevanz der science and technology studies dürfte somit hinreichend dargelegt sein. Das Seminarziel besteht darin, zunächst mithilfe der Lektüre von Klassikern dieses Forschungsfeldes einige der einflussreichen Grundpositionen kennenzulernen (z.B. Sozialkonstruktivismus, Akteur-Netzwerk-Theorie, Soziale Welten/Arenen-Theorie, Praxeographie usw.), um dann in der zweiten Seminarhälfte verstärkt aktuelle Forschungsarbeiten und deren Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Problemen in den Blick zu nehmen (bspw. digitale Öffentlichkeiten, Algorithmisierung/Software/KI, medizinische Körperpraktiken, Finanzmärkte, Entwicklung). Die am Seminar Teilnehmenden sollen so in die Lage zu versetzen, sowohl die Entwicklung der theoretischen und methodologischen Grundpositionen anhand von konkreten Gegenständen kritisch zu würdigen, als auch behandelte Gegenstände und Phänomene selbst problematisierend und kontrovers zu diskutieren. Auf diese Weise soll im Seminar Gesellschaft ‚hands-on‘, d.h. als technowissenschaftliches Konstrukt und Veränderungsgeschehen behandelt werden.

Die Veranstaltung wird, so weit es das Pandemie-Geschehen zulässt, als Präsenzseminar stattfinden. Sollte dies erforderlich werden, wird kurzfristig auf digitale Lehre umgestellt.