Um 1800 wird das Konzept des Menschen neu verhandelt. Dieser soll sich nicht nur aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit befreien (Kant), sondern er erscheint erstmals in der Geschichte des Wissens als "empirisch-transzendentale Dublette" (M. Foucault), weil nun eine intensive biologische Erforschung des Körpers die materiellen Bedingungen des Denkens selbst freilegen soll. In zahlreichen philosophischen, psychologischen, medizinischen, ökonomischen, politischen und juristischen Diskursen wird in jener Zeit verhandelt, was den Menschen zum Menschen macht. Vom Rand der Gesellschaft ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken dabei auch Figuren, die ein positives Konzept des Menschen und damit zugleich die gesellschaftlichen Strukturen in Frage stellen: Kindsmörderinnen, Räuber und Bettler bzw. arme Menschen. Diese sozialen Schatten-Figuren führen nicht nur zu einem Wuchern wissenschaftlicher Theorien, sondern erkämpfen sich ihren Platz auch in der literarischen Ewigkeit, etwa in H. L. Wagners Trauerspiel "Die Kindermörderin", in J. W. Goethes Tragödie "Faust" als Gretchen, in F. Schillers Erzählung "Der Verbrecher aus verlorener Ehre" oder in H. v. Kleists Erzählung "Das Bettelweib von Locarno".

Das kulturwissenschaftliche Seminar versucht nachzuvollziehen, wie aus Fakten literarische Fiktionen werden. Verschiedene literarische Präsentationsformen sollen vor dem Hintergrund historischer Phänomene und der damit einhergehenden wissenschaftlichen Diskurse beleuchtet werden.