Einerseits sterben Dörfer aus, junge Generationen ziehen weg und es herrscht Perspektivlosigkeit. Andererseits scheint das idyllische provinzielle Leben neuerdings auch wieder große Anziehungskraft zu haben und verspricht die Vision eines sinnerfüllten Lebens, in dem der Blick auf das Wesentliche wieder möglich wird.
Diese gesellschaftliche Entwicklung spiegelt sich auch in der Literatur wider, denn die Provinz ist ein anhaltend beliebtes Thema und ein zentraler Handlungsort der deutschen Gegenwartsliteratur – von der Darstellung eingeschworener dörflicher Gemeinschaften bis hin zur Stadtflucht frustrierter Großstadtbewohner:innen aufs Land gibt es verschiedenste denkbare Szenarien, innerhalb derer Provinzialität erzählt und reflektiert wird. 
Das Seminar soll diese provinzielle literarische Landschaft in den Blick nehmen, insbesondere anhand ausgewählter Dorfromane der letzten Jahre.

Wir wollen uns die Frage stellen, was „Provinz erzählen” (oder „Dorf erzählen”) aus literaturwissenschaftlicher Sicht konkret bedeutet bzw. wie man die Provinz als literarische Kategorie definieren kann.
Das Seminar soll dazu zum einen Raum zur Diskussion gesellschaftlich sowie politisch relevanter Diskurse bieten, die in den Romanen verhandelt werden (Stadt-Dorf-Gegensatz, Generationenkonflikt, Strukturveränderung dörflicher Lebenswelten, Klimawandel, Rechtspopulismus usw.). Zum anderen sollen narratologische Kategorien vermittelt werden, anhand derer die Texte dahingehend analysiert werden können (u.a. Multiperspektivität, Erzählebenen, zeitliche und räumliche Erzählstrukturen), ergänzt durch kulturwissenschaftliche Ansätze wie z.B. den Ecocriticism.

Vorläufige Primärliteraturauswahl:

Sasa Stanisic  – Vor dem Fest (2014)

Dörte Hansen – Mittagsstunde (2018) [bitte anschaffen]

Juli Zeh – Über Menschen (2021)