Die Geschichte zeigt, wie riskant es ist, sich bei der Orientierung im politischen Handeln auf Vorstellungen eines „menschlichen Wesens“ zu berufen: Normative Formulierungen dazu, was Menschen ausmacht, scheinen entweder so weit zu sein, dass sie überflüssig sind – oder sie erzwingen förmlich Ausschluss, Abwertung und Mißachtung. Das Misstrauen gegen anthropologische, auf das „menschliche Wesen“ bezogene Beurteilungen unseres Zusammenlebens ist also gut nachvollziehbar.

 

Im Seminar besprechen wir einen philosophisch-anthropologischen Vorschlag, der dieses Misstrauen teilt. Helmuth Plessner versucht in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, eine anthropologische Orientierung in unseren ethischen, sozialen und politischen Angelegenheiten zu entwickeln, die Rassismus und anderen menschenfeindlichen Ideologien keine Anknüpfungspunkte bieten soll. Sein Gegenvorschlag ist, als „Wesen des Menschen“ nicht eine bestimmte inhaltliche Festschreibung – ein „Was“ –, sondern die Offenheit zu sich und zur Welt – ein „Wie“, eine Art und Weise des Lebens – zu begreifen. Eine derartige Argumentation muss methodisch auch ihre eigene historische, europäische Perspektive mitbedenken; und sie muss imstande sein, „alles, was Menschenantlitz trägt“, als eine besondere Verwirklichung der für menschliches Leben charakteristischen Offenheit zu verstehen. Zugleich aber müsste und sollte ein solches Nachdenken über unser Menschsein auch Kritik ermöglichen: Man will Verwirklichungen der menschlichen Möglichkeiten, die unmenschlich sind – weil sie z.B. grausam, erniedrigend, mörderisch sind – auch als solche benennen können. Die Art, in der Plessner diese Spannung entwickelt, und wie er mit ihr umgeht, ist heute aktueller denn je.

 

Im Seminar werden wir Plessners Buch „Macht und menschliche Natur“ von 1931 gemeinsam genau und textnah lesen und in der Diskussion prüfen, ob uns Plessners provokative und aufregende Argumentation überzeugt. Die Textgrundlage wird zu Veranstaltungsbeginn auf Moodle bereitgestellt.