Das Seminar widmet sich der Frage nach der radikalen menschlichen

Imagination: einer eigentlich zentralen philosophischen Frage, die allerdings —

so behauptet Cornelius Castoriadis — vom Hauptstrom der Philosophie von

Anfang an weitgehend verdrängt worden ist. In seiner Sicht gibt es nur wenige,

episodisch und folgenlos gebliebene Ausnahmen — etwa an einigen dunklen

Stellen bei Aristoteles, später bei Kant und Heidegger — wo diese Frage

wirklich aufgeworfen wird. Charakteristisch sei aber selbst für diese

Ausnahmen, dass die Entdeckung der radikalen Imagination sogleich in ihr

Verdecken und Verkennen mündete — und man somit den Skandal der

Imagination immer wieder unter den Teppich gekehrt hat.

Mit Castoriadis wollen wir in diesem Seminar diesen denkwürdigen

Entdeckungs-und-wieder-Verdeckungs-Vorgang an einem berühmten — dem

ersten und folgenreichsten — Beispiel genauer nachvollziehen: anhand von

Aristoteles‘ aporetischen Reflexionen über die phantasia in seiner klassischen

Lehrschrift Über die Seele. Diesem Ziel werden wir vor allem auf dem Weg

einer intensiven Parallellektüre der entscheidenden Passagen der Abhandlung

von Aristoteles sowie des Aufsatzes »Die Entdeckung der Imagination« von

Castoriadis nachgehen. Dabei sollen zugleich die Umrisse der Castoriadis’schen

Ideen von der radikalen Imagination der Psyche wie des gesellschaftlichen

Imaginären freigelegt werden.