In der Frühen Neuzeit breitete sich die christliche Mission in neuem Ausmaß aus: Die europäischen Imperien unterstützten ab dem 16. Jahrhundert die katholische und ab dem 18. Jahrhundert auch die protestantische Mission. Im frühen 19. Jahrhundert gab es somit trotz Aufklärung und Säkularisierung global mehr Christen als jemals zuvor.  Warum die vorrangig auf Gewinn angelegten Kolonialmächte Missionar*innen in ihren Gebieten zuließen und zum Teil auch förderten ist hingegen strittig, schließlich forderte die Mission finanzielle, militärische und wirtschaftliche Ressourcen, ohne erst einmal unmittelbar Gewinne zu generieren. Und nicht nur die Kolonialmächte, sondern auch andere koloniale Gruppen verlangten immer wieder nach dem Kontakt mit Missionar*innen. In diesem Seminar wird es darum gehen, wie das Verhältnis zwischen Religion, den frühneuzeitlichen europäischen Imperien sowie den vielfältigen Bewohner*innen der Kolonien sich gestaltete. Zudem geht es um die Frage, wie der in den Missionsposten rekonstruierbare postkoloniale Alltag einen Einblick in die Funktionsweise und Praktiken des europäischen Kolonialismus gewährt.

Ab 1754 nahmen Missionar*innen der Herrnhuter Brüdergemeine Kontakte zu den so genannten „Saramaccaner-Maroons“ auf, die tief im tropischen Regenwald der niederländischen Kolonie Suriname lebten. Es handelte sich bei Ihnen um Nachfahren ehemaliger versklavter Menschen, die ab dem 17. Jahrhundert von den Plantagen Surinames flohen und im unwegsamen Hinterland eigene Gemeinschaften gründeten. Diese zeichneten sich durch eine eigenständige gesellschaftliche Organisation, eine eigene Sprache, Religion und Kultur aus.

Die Missionar*innen handelten in ihrer Kontaktaufnahme mit den Maroon nicht eigenständige, sondern sie hatten gleich zwei Auftraggeber: Die niederländischen Kolonialregierung sowie einige Chiefs der Maroons, die nach Missionaren in ihren Reihen verlangten. Neben religiösen Motiven erhofften sich alle Akteur*innen von den Missionen in Saramacca bestimmte Vorteile, die im Seminar rekonstruiert werden sollen.

Obgleich viele verschiedene Gruppen durch die Mission Vorteile erhofften, war der Alltag der Missionar*innen schwierig: Die winzigen Missionsstationen waren weit abgeschnitten von jeder kolonialen Infrastruktur. Hinzu kamen zahlreiche Krankheiten, etwa die Hälfte der hier stationierten Missionar*innen überlebte ihren Einsatz nicht. Ab dem späten 18. Jahrhundert wurden die Missionsposten außerdem in kriegerische Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Maroon-Gruppen, den indigenen Einwohner*innen der Region und der Kolonialregierung hineingezogen. Nach einer längeren Belagerung des inzwischen bewaffneten Missionspostens musste diese schließlich 1815 aufgeben werden.

In diesem Seminar möchte ich mit verschiedenen Quellen zur Mission in Saramacca arbeiten: Dazu gehören Missionschroniken, transkribierte Briefe und Missionsdiarien aus verschiedenen Archiven, einem einschlägigen Gesundheitsratgeber sowie materieller Überlieferung. Dabei möchte ich mit Ihnen gemeinsam versuchen, das alltägliche Leben der Missionar*innen unter kolonial-, religions- und gendergeschichtlichen Perspektiven zu rekonstruieren und zu analysieren. In wie weit die durch Missionar*innen überlieferten Schriftquellen zudem eine geeignete Quelle zu Rekonstruktion der einzigartigen Gesellschaft der Saramaccaner-Maroons darstellen, soll im Seminar diskutiert werden.