Es wird heftig gestritten bei uns im Land. Bis vor Kurzem spalteten noch Energie- und Mobilitätswende die Gemüter, weil Klimapolitik wahlweise als viel zu drastische Freiheitsgefahr oder als verschleppte Dringlichkeit gesehen wird. Über geschlechtersensible Sprache, über Windräder, Asylrecht, Waffenlieferungen scheint die Gesellschaft auseinanderzufallen. Als basso continuo der Debatten – die manchmal so polemisch geführt werden, dass sie so gar keine Debatten mehr sind werden stetig wachsende Umfragewerte im rechtspopulistischen/rechtsaußen Lager registriert. Polarisierung ist ein Masternarrativ unserer Gegenwartsgesellschaft. Gemeint wird damit, dass gesellschaftliche Lager unversöhnlich aufeinanderprallten. Es wird nicht nur in Medien und Politikkommentaren bemüht, es spielt auch in subjektiven Deutungen und Erfahrungswelten eine zentrale Rolle.

Um besser Bescheid zu wissen, was sich aus Sicht der Sozialwissenschaft über gesellschaftliche Spaltungen sagen lässt, und um damit die politischen Konflikte unserer Gegenwart besser zu verstehen, nehmen wir uns in diesem Seminar die Zeit, eine einschlägige und vielbesprochene Studie und Zeitdiagnose kennenzulernen. Wir lesen also über das Semester hinweg die Studie „Triggerpunkte“ und machen uns dabei Stück für Stück ein genaues und informiertes Bild darüber, welche Spaltungen wirklich existieren und warum und unter welchen Bedingungen sie entstehen. Dabei begleiten wir den Text auch kritisch und versuchen zu jeder Sitzung Fragen an den Text zu stellen, die uns der Text womöglich nicht beantwortet und wo sich spannende Anschlüsse und Forschungsdesiderata auftun.

Das Seminar wird also von ihrer engagierten Lektüre und ihren Fragen leben. Zur Vorbereitung empfehle ich die beiden vom Autorenteam Steffen Mau und Thomas Lux et al. im Berliner Journal veröffentlichten Artikel zu lesen.

Außerdem empfehle ich eine Anschaffung des Buches um damit über das Semester hinweg gut arbeiten zu können.


Habermas stellt im Jahr 1985 fest, dass der "Zeitgeist" dystopisch geworden sei: "Es scheint, als ob die utopischen Energien aufgebraucht und erschöpft sind", vermutet er. Die Zukunft werde nun gänzlich negativ gesehen. Zur Untermauerung führt er das Wettrüsten, technologisches Versagen, ökologische Probleme und strukturelle Verarmung an, die den negativen Raum der Zukunft besetzen. Er vermutet, dass dieser Zustand kein vorübergehender ist, sondern viel tiefer reicht. Er sei darauf zurückzuführen, dass die organisierte Arbeit unter dem anhaltenden Angriff neoliberaler politischer Kräfte ihre Macht verloren hat und "das Programm des Sozialstaates, das sich immer noch aus dem utopischen Bild einer arbeitenden Gesellschaft speist, seine Fähigkeit verliert, zukünftige Möglichkeiten für eine kollektiv bessere und weniger gefährdete Lebensweise zu projizieren".

Diese Diagnose liest sich wie eine Beschreibung der Situation im Jahr 2024. Auch heute kämpfen wir mit Krieg und Wettrüsten, technologischem Versagen (gegen die Klimakrise, für die Verbesserung von Lebensverhältnissen), ökologischen Problemen; hinzugekommen ist noch eine starke politische Rechte, die aber das Resultat all der genannten Probleme und der Entwicklungen seit Habermas ist. Aus der Diagnose von 1985 ist also einerseits viel zu lernen für heute; andererseits gilt es, die Entwicklungen des Wohlfahrtsstaates in den vergangenen Jahrzehnten zu verstehen und einzuordnen.

Wir gehen in dem Seminar also den Fragen nach:

-        Wie hängt die aktuelle politisch und soziale Situation in Deutschlang mit der Entwicklung des Sozialstaates in Deutschland zusammen?

-        Welche Entwicklungen haben hier zu einer sukzessiven Erschöpfung von Utopien geführt?

-        Welche Entwicklungen spielen hier eine Rolle? Und kann man daraus eine Lektion für eine mögliche Gegenstrategie – für Utopien und eine kollektive Lebensweise – entwickeln?

-        Kann der WFS überhaupt einen Weg aus der Krise zeigen?

-        Welchen WFS wollen die Rechtspopulisten?

Das Seminar lebt von ihrem Engagement, ihrem Interesse und den Fragestellungen, die Sie mitbringen. Außerdem werden viel – aber nicht zu viel – Lektüre bestreiten. Ihre Lesebereitschaft wird also vorausgesetzt.


Die Krise der repräsentativen Demokratie ist auch eine Folge mangelnder Repräsentativität. Weder im Bund noch in den Ländern oder Kommunen sind Parlamente das Spiegelbild einer sich wandelnden Gesellschaft. Es gibt dort nicht nur zu wenig Frauen, sondern zum Beispiel auch zu wenig Menschen mit Migrationshintergrund und immer weniger Nicht-Akademiker. Auch fehlen Vorbilder für relevante Berufsgruppen. Einerseits machen populistische Parteien sich diese Defizite zu Nutze, andererseits wird der Ruf nach verbindlichen Quoten populärer, was grundlegenden Verfassungsprinzipien zuwiderläuft. Auch losbasierte Bürgerräte profilieren sich als (vermeintlich) demokratischere Alternative.

Die Parteien in Deutschland kontrollieren den Prozess der Kandidatenauswahl für die Parlamente fast vollständig. Homogene Parteimilieus, traditionelle Parteistrukturen und intransparente Auswahlprozesse behindern dabei notwendige Veränderungen. Allerdings wird der Druck, sich unterrepräsentierten Gruppen zu öffnen, in den Parteien und in der Gesellschaft größer. Zudem gibt es neue politische Initiativen, wie zum Beispiel Brand New Bundestag, Join Politics oder Love Politics. Sie wollen politische Innovation von außen anstoßen, politische Talente außerhalb der Parteien entdecken und zivilgesellschaftlich engagierte Menschen beim Wechsel in die Politik und in die Parlamente unterstützen.

In dem Seminar soll die Rekrutierung von politischem Personal im Spannungsverhältnis von Repräsentation und Repräsentativität analysiert werden. Es soll dabei insbesondere die Rolle der Parteien als Demokratie-Wächter und Karriere-Gatekeeper einerseits sowie die Gefahren einer parteipolitisch geprägte Meritokratie andererseits betrachtet werden. Es soll diskutiert werden, welche wahlrechtlichen, politischen und organisatorischen Veränderungen es ermöglichen könnten, dass Parlamente zum Spiegelbild einer sich wandelnden Gesellschaft werden und wann Vielfalt im Parlament an seine Grenzen stößt. Welche Anstöße kann es aus Parteien heraus und aus der Zivilgesellschaft geben?

Die verschiedensten Proteste – von Pegida bis zu den Bauern – haben in den letzten Jahren gezeigt, dass sich Protestakteure und Interessengruppen verändert haben. Was bedeutet dies für Demokratie und den Verbändestaat? Demokratie als Herrschaftsordnung baut auf unterschiedlichen Interessen auf. Es ist nicht nur die Aufgabe von Parteien und Verbänden, sondern auch von sozialen Bewegungen dazu beizutragen, dass die vorhandenen Interessen organisiert, artikuliert und repräsentiert werden. Dabei sind die verschiedenen Interessen nicht gleich, sondern unterschiedlich stark. Im Seminar befassen wir uns mit den Grundlagen der Interessenspolitik; aber auch mit den Theorien zur Verbändeforschung. Schlüsselthemen der Auseinandersetzung sind Pluralismus, Korporatismus und Lobbyismus.

Im Zentrum des deutschen Parteiensystems stehen seit 1949 die Volksparteien CDU/CSU und SPD. Mit den Grünen, der Linkspartei und der AfD sind neue Parteien in die deutschen Parlamente eingezogen. Während Union und SPD stark an Zuspruch eingebüßt haben, sind andere stärker geworden. Bei der Bundestagswahl 2021 erzielte die bis dahin regierende „Große Koalition“ zusammen gerade noch 50% der Stimmen. Zugleich zeichnet sich ab, dass ein größer werdender Teil der jungen Generation sich abgewendet hat und eher in anderen Parteien ihre Zukunft aufgehoben sieht. Wie entwickelt sich das bundesdeutsche Parteiensystem und wie reagieren die Parteien auf diesen Wandel. Wird das Parteiensystem polarisierter oder bleibt alles beim Alten, weil sich so vieles ändert?

Die Lehrveranstaltung ist als Blockseminar konzipiert. Im ersten Block diskutieren wir die politikwissenschaftliche Einordnung der Veränderungen im bundesdeutschen Parteiensystem. Mit Blick auf aktuelle Wahrergebnisse und Entwicklungen soll analysiert werden, inwiefern rechtspopulistische Parteien bestehende Parteiensysteme verändern und der scheinbare Zerfall der Volksparteien das Parteiensystem wandelt. Auf dieser Grundlage sollen die Studierenden mögliche Forschungsfragen und Arbeitshypothesen formulieren. Um den Teilnehmer:innen einen Feldzugang zu ermöglichen und Kontakte zu den politischen Akteuren herzustellen, erfolgt im zweiten Block eine gemeinsame Exkursion nach Berlin. Diese ist für alle Teilnehmer:innen verpflichtend und findet am 4./5. Juli in Berlin statt. Während der Exkursion können Hintergrundgespräche und Interviews mit Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen geführt werden, sodass das Thema des Seminars aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert und die von den Studierenden erarbeiteten Forschungsfragen angegangen werden können.


Die radikale Rechte hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert, vor allem ihr Resonanzraum. In diesem Kontext ergeben sich neue, zentrale Fragestellungen: Was zeichnet die radikale Rechte heute aus? Welche Wirkungen erzeugen ihre gesellschaftlichen Aktivitäten? Welche Möglichkeiten haben Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, um die Demokratie zu stärken? Im Rahmen des Seminars werden historisch-gesellschaftliche Entwicklungslinien nachgezeichnet, rechte Erscheinungsformen in Politik und unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Räumen (u.a. Kirchen, Gewerkschaften, Sport) analysiert, Reaktionen der zivilgesellschaftlichen Akteure systematisiert und die Frage der Resilienz adressiert.

Der deutsche Sozialstaat ist primär ein Sozialversicherungsstaat. Seine Grundlage ist die Erwerbsarbeit. Im Zuge der Digitalisierung und Dekarbonisierung und des gesellschaftlichen Wandels erleben wir schon seit längerem tiefgreifende Transformationsprozesse, die während der Pandemie mitunter weiter an Dynamik gewonnen haben. Dabei geht es nicht mehr nur um Arbeit, Rente, Gesundheit und Pflege, sondern auch um Bildung, Einsamkeit und Vereinbarkeit von Beruf und Selbstentfaltung, womit der Sozialstaat auch als Infrastrukturstaat gefordert ist. Welchen Sozialstaat haben wir, welchen brauchen wir und wie ist das alles finanzierbar? Wer gehört zu den Gewinnern, wer zu den Verlierern der Transformation des Sozialen?