A-1.1-30 / A-2.1-30 Theorie und Kritik in Architektur, Stadt und Landschaft,

A-2.1-60 Vertiefungsseminar Design Research (DR), Schwerpunkt Architekturtheorie (Teilmodul)

 

Architektur und Städtebau gestaltet den Alltag von Menschen und zwischenmenschliche Interaktionen und damit die Gesellschaft. Doch dabei ist die Ausformung des gebauten Umwelt maßgeblich geprägt von wirtschaftlichen Faktoren, den Zugang zu Ressourcen und Macht, Teilhabe und Exklusion, und vielem mehr. Mit Architektur und Städtebau verbinden sich Wertefragen, die gesellschaftlich auszuhandeln sind.

 

Was ist die Rolle der ArchitektIn hierbei? Ist Sie nur die ErfüllungsgehilfIn des AuftraggeberIn?

Ähnelt die Rolle der ArchitektIn einer Geisel, die von ihrer EntführerIn dazu gezwungen wird, bei der Familie anzurufen und zu lügen, dass alles in bester Ordnung ist, wie Rem Koolhaas einst formulierte?

 

Immer wieder brechen ArchitektInnen aus dem Rollenschema eines demütigen, eilfertigen Dienstleisters aus und nehmen eine aktivistische Rolle ein. Unabhängig von einem Auftrag oder einem Amt erschaffen sie sich eine eigene Rolle mit einer selbst formulierten Agenda. Sie setzen sich damit für Ihnen wichtige gesellschaftliche Anliegen ein.

 

Das Seminar widmet sich dem Aktivismus in der Architektur: Welche aktivistischen Handlungsmodelle gibt es? Wie unterscheiden diese sich? In welchem Verhältnis stehen diese zu dem regulären Beruf und wie lassen diese sich ggfl. verbinden?

 

Wir wollen uns mit Positionen aus Geschichte und Gegenwart befassen, Texte gemeinsam lesen, Projekte analysieren, mit heutigen AktivistInnen über Ihre Praktiken diskutieren und auch die Ausstellung Protestarchitekturen am Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main besuchen.

 

Donnerstags 12.00 – 13.30

HAFEKA 0103 (EG)

Erster Termin: 26. Oktober

 

Besuch der Ausstellung DAM „Protestarchitekturen“ am Freitag, 24. November 2023


Seminar: Gernot Minke Archiv

Lehrender: Dr. phil. Alexander Stumm

Zeit: Montags 10–13.30 Uhr, 2-wöchtentlich, + Kompaktwoche (6.+7.11.) ganztägig

Beginn: 23.10.2023

Raum: Möncheberg 1 - Raum 3012 Seminarraum III

 

Gernot Minke ist ein Pionier des Lehmbaus und wichtiger Akteur in der Entwicklung des ökologischen Bauens seit den 1970er Jahren. Zentrale Elemente seiner Architektur sind die Verwendung lokaler biogener und geogener Materialien wie Holz und Lehm, energie­ und ressourcenschonende Bauweisen, die Vermeidung von Treibhausgasemissionen sowie ein gesundes Wohnklima – Themen die vor dem Hintergrund der derzeitigen Klima- und Biodiversitätskrise Imperativ sind. 

Durch Minkes großzügige Übertragung des Vorlasses an die Uni Kassel 2023 wird sein Archiv erstmals für die Forschung zugänglich. Das Seminar widmet sich zwei Teilbereichen des umfangreichen Archivs: 1) dem bisher wenig beleuchteten Frühwerks von Minke bis Mitte der 1970er Jahre und 2) der Entwicklung des Lehmbaus anhand des Projekts Ökosiedlung in Kassel Anfang der 1980er Jahre. Im Rahmen des Seminars werden neben der theoretisch-historischen Erforschung der genannten Bereiche während der Kompaktwoche im Rahmen eines Intensivworkshops auch Grundlagen in der Erschließung von und dem Umgang mit Archivmaterialien erworben.

 

Kurzinfo Gernot Minke

In der neu gegründeten reformpädagogischen Gesamthochschule Kassel (heute: Uni Kassel) leitete Minke ab 1974 das Fachgebiet Tragkonstruktion und Experimentelles Bauen, wo er als Gründer des Forschungslabors für Experimentelles Bauen (FEB) fast vier Jahrzehnte lehrte und forschte. Dabei entstanden über 50 Forschungs­ und Entwicklungsprojekte unter anderem zu den Themen Low Cost­Bauen, Bauen mit Lehm, Bauen mit Strohballen, Bauen mit Bambus sowie Dachbegrünung und vertikale Gärten. Seine Publikationen zum Bauen mit Lehm und Stroh gelten als Standardwerke und sind in zwölf Sprachen übersetzt. Während Minke international vielfältige Würdigung erfährt, ist sein Werk in Deutschland bisher noch wenig bekannt.

 

Lektüreempfehlung

Friedemann Mahlke: Schwerelos erdverbunden – Vom Leichtbau zum Lehmbau. Das Werk des Architekten Gernot Minke, Rastede 2007.

 


In diesem Seminar werden wir uns mit Klang in Städten und ihrer Dokumentation bzw. künstlerischen Verarbeitung anhand des Werkes "Kassels Akustischer Stadtplan" (1997) von Wolfram Spyra beschäftigen.

Aufgenommen mit einem eigens dafür angefertigten DAT-Recorder besteht das Werk aus 20 Aufnahmen unterschiedlicher Innen- und Außenräume in Kassel.

Obwohl, oder vielleicht gerade, weil wir in der Stadt permanent der akustischen Wahrnehmung ausgesetzt sind, wollen wir die Sensibilität dafür schärfen und anhand des akustischen Stadtplans exemplifizieren.

Im Seminar werden wir uns mit Grundlagen der Sound Studies beschäftigen und untersuchen, welche Veränderungen im „akustischen Stadtbild” wahrnehmbar sind und auf welche Weise sie in Wechselwirkung mit den räumlichen Geschehnissen und deren Veränderung stehen.

Unter Einbeziehung städtebaulicher und kulturwissenschaftlicher Debatten soll ein neuer akustischer Stadtplan angefertigt werden und auf einem geeigneten Medium zur Verfügung gestellt werden.

 

Das Seminar findet zusammen mit Studierenden der Musikwissenschaft der Universität Göttingen statt und findet daher auch an einem Termin in Göttingen statt.

 

Termine: 27.10.2023, 12 - 14 Uhr (in Kassel)
17.11.2023, 12 - 18 Uhr (in Kassel)
18.11.2023, 12 - 18 Uhr (in Kassel)
08.12.2023, 12 - 18 Uhr (in Göttingen)
15.12.2023, 12 - 18 Uhr (in Kassel)  
26.01.2024, 12 - 14 Uhr (in Kassel)

Das erste Treffen findet am 27.10 um 12:00 in der Forschungsstation Traces (Holzhaus am Lutherplatz) statt.


Kloster plus +
Syrisch-Orthodoxes Kloster in Warburg: Revitalisierung + Erweiterung

Am Rande des historischen Stadtkerns von Warburg liegt das Klosterareal mit Blick auf die Neustadt. Bestehend aus Kloster, Kirche und Klostergarten wurde es 1907 als neues Dominikanerkloster errichtet und ist seit den 90ern Sitz der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland. Da sich das Kloster bisher allein aus Spenden finanziert hat, soll zukünftig eine Einnahmequelle geschaffen werden. Im engen Kontakt mit der Unteren Denkmalbehörde plant die Gemeinde neben der Revitalisierung der Bestandsbauten, eine Neubebauung des derzeit brachliegenden Klostergartens. Die Studierenden werden hierfür Ideen und Entwürfe entwickeln, die vordergrundig die Schaffung von Wohnraum, Abstellflächen und Nutzflächen für den Klosteralltag, sowie die Kostenminimierung durch z.B. Stromerzeugung beinhalten. Die Gemeinde ist offen für nachhaltige Entwicklungskonzepte, die sich städtebaulich, freiräumlich und architektonisch sensibel in den Gesamtkontext einfügen.

Der Umgang mit Bestand und das Weiterbauen — als Brückenschlag zwischen Vergangenem und Zukünftigen — erfordern sowohl die Beschäftigung mit historischen Ereignissen, Entwicklungen und den damit verbundenen Identitäten, sowie die gegenwärtige Kontextualisierung derselben. Wie ging die Nutzungsänderung vom Dominikanerkloster zur syrisch-orthodoxen Kirche von statten, wo waren die Auswirkungen auf den damaligen Bestand und was können wir daraus ziehen für eine zukünftige Um-und Weiternutzung? Wie können neue Nutzungen in der klösterlichen Typologie implementiert werden und wo sind bauliche Eingriffe erforderlich, um entsprechenden Raum zu schaffen? Welche Synergien entstehen durch die Schaffung von Wohnraum für die Warburger Bevölkerung? Wie gelingt die Entwicklung eines architektonischen Ausdrucks, der sich selbst und den Bestand mit seinen Zeitschichten ausgeglichen zum Tragen kommen lässt?

Diese und weitere Fragestellungen sollen im Laufe des Semesters gestellt, diskutiert, behandelt und final im Entwurf beantwortet werden.


Von dem documenta-Mythos verdeckt, hat sich die Stadt Kassel in der Vergangenheit oft nur zögerlich und widerspenstig mit ihrer NS-Geschichte, mit aktuellem Rechtsterrorismus und Rassismus  auseinandergesetzt. Der Umgang mit dem ehemaligen Hauptsitz der Gestapo am Königstor in Kassel ist dafür symptomatisch. Allein die Anbringung einer kleinen Gedenktafel in den 1990er jahrelang stieß jahrelang auf massiven Widerstand. Demnächst fällt das Gebäude leer. Und dann? Akteure der Stadtgesellschaft haben sich zu-sammengetan, um die Schaffung eines Erinnerungsortes einzufordern. Bislang schweigt die Politik beharrlich.

 

Was können wir als Lehrende und Studierende hierzu beitragen? Als Lehrangebot bieten wir im WS 2023/24 eine „Plattform“ an (2 SWS), um mit individuellen Zugängen sich Nationalsozialismus,  Rechtsterrorismus und Antisemitismus, Fragen des Erinnern und Gedenkens, Möglichkeiten des Aktivismus heute. Zu widmen. Die Idee dabei ist, mit der Initiative zusammenzuarbeiten. Plattform heißt auch: Jeder Teilnehmende kann eine eigene Arbeitsform wählen und dem entsprechen auch seine Studien- und Prüfungsleistung erbringen, ob etwas seminaristisch oder als Vorbereitung einer Abschlussarbeit oder eines freien Projekts.

Erster Termin: Mittwoch 25.10, 12 Uhr, Prof. Dr. Philipp Oswalt / FG Architekturtheorie und Entwerfen.

HAFEKA 0103, Gottschalkstr.26, KONTAKT: oswalt@asl.uni-kassel.de

Nächster Termine der "Initiative Gedenkort Polizeipräsidium Königstor“:

Dienstag 24.10., 18:30 ASL Neubau 0106


In an era in which design is increasingly defined by global supply chains and international standards, how can architects reduce exposure to toxic air, land, and water? How does architecture obscure threats to human and more-than-human bodies-- and how might it be used to reduce contamination, while engaging with new building materials and experimental practices? Toxic Architecture introduces students to new concepts, methods, and debates about "toxic modernity" in architectural history and theory. Students will develop critical reading and writing skills as they engage with case studies in Germany and the wider world.

Rund 40% des in Deutschland freigesetzten CO₂ werden durch die Bauwirtschaft verursacht. Die bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannte und heute als krisenhaft erfahrene Situation des beschleunigten Klimawandels verlangt ein Handeln und birgt Chancen: Planer:innen sehen angesichts aktueller Herausforderungen verstärkt den Bedarf, tradierte Typologien in Bezug auf Materialien und Konstruktionsformen weiterzuentwickeln oder neu zu denken. Im Schlagwort ‚Typogenese,‘ einem aus der Evolutionsbiologie entlehnten Begriff, der die sprunghafte Entstehung neuer Ausprägungen bezeichnet, manifestiert sich angesichts des hohen Transformationsdrucks der Gegenwart eine Hoffnung, die analog zum Typen-Konzept der Moderne Vertrauen in das Potenzial einer gleichsam plötzlichen Formbildung setzt: Das durchaus auch kritisch zu prüfende entwerferische Selbstbild, aus einer absolut gesetzten Gegenwart heraus die Realität der Zukunft zu gestalten, trifft heute auf das Anerkennen der Verpflichtung, den konkreten baulichen Bestand als Ressource zu nutzen und das Nachleben des Produkts durch zukünftige Anpassungsmaßnahmen oder Rückbaumöglichkeiten vorauszudenken.

Christ & Gantenbein argumentierten in Bezug auf ihr Multifunctional Workspace Building für Roche, dass die Materialität in Stahl, Glas und Beton eine bestimmte Bauform erlaube und das Gebäude somit aufgrund seiner Typologie nachhaltig sei. Dies verdeutlicht, dass der Begriff der Nachhaltigkeit je noch Kontext und Perspektive unterschiedliches meint. Die verweist jedoch auch auf konzeptuelle und gestalterische Fragen und unterstreicht, dass die Komplexität der Frage von Nachhaltigkeit nicht allein durch die Wahl vordergrründig nachhaltiger Materialien beantwortet werden kann, sondern projektabhängig und ortsspezifisch erörtert werden muss, wobei der typologische Aspekt eine bedeutende Rolle spielt. Denn mit dem Schlagwort der Nachhaltigkeit werden sowohl zeitlich, als auch ökologisch sowie ethisch konnotierte Aspekte adressiert, die nicht unabhängig von der erwarteten Lebensdauer und Funktion sowie dem Potenzial der Anpassung eines Gebäudes betrachtet werden können. Wenngleich es naheliegend ist, dass langfristig überdauernde Maßnahmen umweltfreundlicher sowie natürliche Ressourcen schonende Bauweisen fairer und sozial verantwortungsvoller sind, gilt es in der gemeinsamen Diskussion die damit jeweils verbundenen Vorstellungen und die Verantwortung der Architekt:innen zu erörtern.

Unter Typologie verstehen wir über die Wissenschaft von den Typen in Architektur und Städtebau gerade auch den von ökonomischen, sozialen und ökologischen Faktoren determinierten gestalterischen Prozess der Typenbildung selbst. So nutzen Entwerfer:innen beispielsweise Grundrisstypologien, die nichts anderes sind als Sammlungen voneinander abweichender und sich zugleich entsprechender Konfigurationen von Räumen; diese notwendigerweise abstrahierte Ordnungen werden jedoch nicht allein als Muster angewandt, sondern in Abhängigkeit zu materiellen, konstruktiven, funktionalen und programmatischen sowie lokalen Bedingungen wie dem Klima in übersetzter Form und somit als Modelle angewandt. Wenngleich der Begriff der Typologie bereits in den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts als dialektisches und kritisches Instrument neu entdeckt wurde und in diesem Zuge u.a. das Interesse an tradierten Bauformen geweckt wurde, war dessen Kraft für eine kritische entwurfliche wie theoretische Praxis laut André Bideau spätestens zur Jahrhundertwende aufgebracht. In Bezug auf die konkrete Nutzung des Bestands gewinnt ein typologischer Blick auf die Wirklichkeit der gebauten Umwelt heute mehrfach Bedeutung: erstens auf der Ebene konstruktiver und technischer Elemente im zirkulären Bauen, zweitens auf der Ebene der Umnutzung und des Umbaus von Gebäuden im Re-Development und drittens auf der Ebene architektonischer Erweiterungen und städtebaulicher Ergänzungen in der Nachverdichtung.

Das Seminar betrachtet vor dem Hintergrund aktueller Nachhaltigkeitsdiskurse den in der Architekturgeschichte unterschiedlich verwendeten Begriff der Typologie und entwickelt experimentell eine Typologie des Weiterbauens als ein Überblick auf Formen von Nachhaltigkeit. Das Seminar ist inhaltliche wie methodisch an der Schnittstelle zwischen entwurfsbezogener Theorie und reflexiver Praxis situiert und behandelt typologisches Forschen und Entwerfen. Strukturell teilt es sich in zwei Elemente; erstens wird in der Kompaktwoche zum einen die wandlungsreiche Geschichte des Typologie-Begriffs in Bezug auf veränderte technische und kulturelle Bedingungen reflektiert und zum anderen das Spektrum verschiedener Vorstellung von Nachhaltigkeit erörtert; zweitens werden im Eigenstudium historische und zeitgenössische Positionen recherchiert und Strategien für einen entwurflich produktiven Umgang mit dem Konzept des Typus und der Typologie untersucht, um die abschließenden Treffen vorzubereiten: am Ende der Vorlesungszeit wird gemeinsam eine typologische Ordnung von ausgewählten Projekten entwickelt. Wohingegen typologisches Entwerfen auf einer synthetisierenden Praxis basiert, die aus der Realität der gebauten Umwelt abstrahierte Mustern projektspezifisch neu anwendet, zeichnet sich typologische Forschung sich durch ein analytisches Bewerten und Ordnen aus, das in disparaten Erscheinungen strukturelle Ähnlichkeiten erkennt und diese in der Entwurfs- und Baupraxis gefundenen Muster durch präzise Ordnungsformen herausarbeitet, welche wiederum für Entwerfer:innen instrumentell werden können. Für die angestrebte Typologie des Weiterbauens wird die Fokussierung auf die den Wohnungsbau und Fragen des Re-Developments vorgeschlagen, was einen verantwortungsvollen Umgang mit dem Bestand und der hierin gebundenen grauen Energie inkludiert. Student:innen, die im Zusammenhang mit den Fragestellungen andere Schwerpunkte setzen wollen wie beispielsweise die Adaption von Typologien anderer Klimazonen oder materiell und konstruktiv bedingte Morphologien bekannter Bauformen, sind zum „bring your own (theory) project“ eingeladen.